Transformation – Betrieb: Umbau für die Beschäftigungssicherung
Der Automobilzulieferer Schaeffler ist durch Verkehrswende und Corona gleich doppelt gebeutelt. Jetzt will das Management massiv Stellen abbauen. Wie Gesamtbetriebsratschef Salvatore Vicari Jobs retten will.
Nord | Süd news: Herr Vicari, Sie sind im Sommer als Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Schaeffler angetreten, um Jobs zu halten. Jetzt will das Management bis Ende 2022 rund 4.400 Stellen an 11 Standorten abbauen. Wie fühlt sich das an?
Salvatore Vicari: Das ist eine Situation, wie wir sie seit über 25 Jahren nicht erlebt haben. Sie ist auch deutlich problematischer als während der Finanzkrise 2009. Speziell für die Automobilzulieferindustrie ist es sehr, sehr angespannt. Aber wir haben nicht nur wirtschaftliche Not, sondern wir haben wegen der Corona-Krise auch eine sehr starke Regionalisierung. Die Märkte Amerikas, Europa und China produzieren stärker für ihre eigene Region. Außerdem verunsichert die Diskussion um die Mobilität der Zukunft. Wir haben mit den Klimaschutzzielen sowie den politischen Antworten darauf zu kämpfen.
Schaeffler scheint ständig in Unruhe zu sein. Seit Ende 2018 sank die Zahl der Beschäftigten bereits um 9 Prozent auf 84.200. Was können Sie da als Betriebsrat tun?
Das ist das Spiegelbild einer Arbeitswelt, die sich stärker verändert als in den Jahren zuvor. Wir erleben, dass der asiatische Markt eine deutlich aufgewertete Position beim Management hat, auch durch die Verlagerung von Arbeit. Wir haben das früh problematisiert, auch im Aufsichtsrat. Dann kam der Abgas-Skandal bei VW. Als das im September 2015 aufflog, begann auch bei uns verstärkt die Diskussion über Alternativen zum Verbrennungsmotor. Leider ist sie vielerorts inzwischen teilweise unsachlich geworden. Der Hype rund um die E-Mobilität läuft, und jetzt mit Corona hat er auch noch per Gesetz an Fahrt gewonnen.
Sie sprechen von den Elektroautoprämien des Bundes.
Ja. Aber ist die politische Antwort nur: E-Mobilität oder Verbrennungsmotor? Das halte ich für falsch, denn wir sollten hier technologieoffen herangehen und auch auf Technologien wie synthetische Kraftstoffe oder Wasserstoff setzen. Die Weiterentwicklung bei den Verbrennungsmotoren ist zudem enorm. Dort ist auch das Kerngeschäft für Schaeffler. Unser Geschäftsmodell ist die Reduzierung von CO2-Emissionen. E-Mobilität ist da nicht die einzige Lösung, denn ich muss auch schauen, woher der Strom kommt, auf den gesamten CO2-Fingerabdruck.
Wegen des hohen Stromverbrauchs ist der ja gerade bei der Wasserstofftechnologie problematisch.
Das Ziel muss sein, den Wasserstoff effizienter zu gewinnen und ihn zu einer »grünen« Technologie auszubauen. Der Strom für die Elektrolyse muss bis dahin aus erneuerbaren Energien stammen.
Der Betriebsrat hat 2018 mit dem Management eine Zukunftsvereinbarung geschlossen. In dieser Zeit konnten geplante Werkschließungen verhindert werden. Ist etwas ähnliches in der aktuellen Situation nochmal möglich?
Das ist erst mal offen. Wir führen auf vielen Ebenen intensive Gespräche mit dem Arbeitgeber über die Herausforderungen der Zukunft. Die Zukunftsvereinbarung bietet uns zusätzliche Möglichkeiten zu den bereits vorhandenen Strukturen. Wir werden jede Chance nutzen für Gespräche, wir haben ja sehr gute Argumente. Die Pläne von Schaeffler haben übrigens auch positive Aspekte, die muss man sich ganz genau anschauen.
Welche?
Zum Beispiel sollen Geschäftsbereiche mit Wasserstofftechnik oder Robotik gezielt gestärkt werden. Das können wir nutzen, um betriebsbedingte Kündigungen oder Standortschließungen zu vermeiden. Aber es gibt auch viele andere Bereiche. Schauen Sie sich unser klassisches Kugellager an, es gehört zur Entstehungsgeschichte des Unternehmens und ist noch immer hoch innovativ. Hier entwickelt sich zum Beispiel ein Kugellager mit digitalen Komponenten weiter. Solche Innovationen sind für die deutschen Standorte wichtig, hier gibt es die notwendigen Alternativen für das Wegbrechen des klassischen Geschäfts.
Im Rahmen der anstehenden Tarifrunde der IG Metall wird über eine 4-Tage-Woche debattiert. Wie sehen Sie das?
Wenn wir über Beschäftigungssicherung reden, brauchen wir einen Werkzeugkoffer mit vielen Instrumenten. Den können wir gerne weiterentwickeln. Denn: Speziell in der Automobilzulieferindustrie werden wir in Frage gestellt. Aber wir haben das Potenzial, wir haben Innovation. Wir steuern in eine Zeit der Unordnung hinein. Aber wir haben Alternativen zu Kündigung und Werkschließungen.
Sehen Sie einen harten Arbeitskampf mit Demonstrationen vor sich?
Das ist in Zeiten von Corona die größte Herausforderung. Wie bekommen wir unsere Schlagkraft auf die Straße? Ich verspreche: Das wird eine außergewöhnliche und interessante Tarifrunde mit kreativen Aktionen, um unsere Forderungen durchzusetzen.
Salvatore Vicari, Jahrgang 1966, ist gelernter Auto- und Industriemechaniker und hat Betriebswirtschaftslehre studiert, seit 1990 arbeitet er bei Schaeffler, seit 1994 ist er Betriebsrat, seit Juli 2020 Gesamtbetriebsratsvorsitzender
Autor: Kai Schöneberg lebt als Wirtschaftsjournalist in Berlin
November/2020