Neue Zielgruppe, neue Kultur, neue Sprache - Gründung der Gewerkschaft SINDIKASI in Indonesien
Die Regierung in Jakarta will die indonesische Wirtschaft mit starken Kreativbranchen voranbringen. Deren Rückgrat sind Freelancer_innen und Arbeitnehmer_innen mit prekären Beschäftigungsverhältnissen. Damit sie sich organisieren und ihre Interessen gemeinsam vertreten können, brauchte es eine eigene Gewerkschaft, die neue Wege geht. Raisya Maharani beschreibt die turbulenten ersten Jahre.
Ein Artikel aus der Broschüre Transformation weltweit (2020)
2016, ein Demonstrationszug in Jakarta. Drei Journalist_innen kommen ins Gespräch. Einer erzählt, dass er mit seinem Arbeitgeber über eine Vertragsänderung streitet und eine Schlichtungsstelle angerufen hat. Der Zweite sorgt sich über eine ausstehende Abfindungszahlung, der dritte arbeitet als Freelancer und klagt darüber, dass er nie mit einem sicheren Einkommen rechnen kann. Weil ihnen klar wird, dass viele indonesische Journalist_innen unter ähnlichen Bedingungen arbeiten und ähnliche Probleme haben, entwickeln sie die Idee, eine Gewerkschaft für Medienschaffende zu gründen, um einen Anlaufplatz für Kolleg_innen zu schaffen und gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen.
Einer der drei ist Ikhsan Raharjo. Er arbeitet in Jakarta für ausländische Medien. Ihm bereiten vor allem die Flexibilisierungen auf dem Arbeitsmarkt Sorgen. Denn diese setzen Medienschaffende, die ohnehin schon in prekären Verhältnissen und in einem ausbeuterischen System arbeiten, noch mehr unter Druck. „Wir haben beschlossen, dass eine Gewerkschaft gegründet werden muss, um die Verhandlungsposition von Medienschaffenden zu verbessern“, sagt Ikhsan heute. Außerdem müsse man der Agenda etwas entgegensetzen, die die Regierung mit der Verabschiedung des sogenannten Omnibusgesetzes aufgestellt hat.
Zunächst ist nur eine Gewerkschaft für Medienschaffende geplant, doch dann trifft Ikhsan die Grafikdesignerin Ellena Ekarahendy. Gemeinsam stellen sie fest, dass Medien- und Kreativschaffende vieles gemeinsam haben: Sie leiden unter den gleichen schlechten Arbeitsbedingungen, oft sind Journalist_innen im Nebenjob auch Creative content writer oder Kreativschaffende gleichzeitig freie Journalist_innen für große Medien, so dass sich die Branchen mischen. Nachdem weitere Mitstreiter_innen aus beiden Bereichen gefunden sind, gründen sie am 27. August 2017 die Gewerkschaft der Medien- und Kreativbranche für Demokratie: SINDIKASI.
Ellena Ekarahendy als Vertreterin der Kreativschaffenden übernimmt den Vorsitz, Ikhsan Raharjo repräsentiert als Generalsekretär die Medienschaffenden. Ein Koordinator stimmt die Arbeit verschiedener Unterabteilungen ab. Das Ziel, inklusive und humane Arbeitsstrukturen in der Medien- und Kreativbranche zu schaffen, will SINDIKASI mit einer Dreifachstrategie erreichen:
- Bewusstseinsförderung innerhalb der Medien- und Kreativbranche
- Aufbau der Verhandlungsmacht und Unabhängigkeit von Arbeitnehmer_innen durch gemeinsame Gewerkschaften
- Einbringen, Empfehlen und Überwachen von Strategien und Regulierungen
Neuartige Ansprache: digital und mit anderem Ton
Ein Hauptanliegen von SINDIKASI ist es, dass sich die Arbeitnehmer_innen bewusst werden, wer sie sind und was ihre Situation ist. Dafür braucht es eine spezielle Ansprache, die auf die kulturellen Besonderheiten der Branche eingeht. Und diese Ansprache muss digital stattfinden, weil viele der Medien- und Kreativschaffenden selbstständig arbeiten und es keine analogen Räume wie Werkhallen oder gemeinsame Betriebsstätten gibt. Ebenso wichtig ist die Sprache.
Denn als Zielgruppe identifizierten die SINDIKASI-Gründungsmitglieder junge Arbeitnehmer_innen im Alter zwischen 20 und 35 Jahren, aktive Nutzer_innen von Instagram und Twitter. Ein Problem: Deren Bild von Gewerkschaften ist immer noch bestimmt durch die Folgen der systematischen Zerstörung aller linksgerichteten Strömungen durch Indonesiens Regierung der Neuen Ordnung zwischen 1966 und 1998, der auch die Gewerkschaftsbewegung zum Opfer fiel. Diese Politik war begleitet von massiver antikommunistischer Propaganda sowie einer forcierten Spaltung der Arbeitnehmerschaft in Angestellte (white collar) einerseits und Arbeiter_innen (blue collar) andererseits. Diese Indoktrination hat Generationen von Angestellten hervorgebracht, die eine Arbeiter_innenidentität als Stigma betrachten. Sie sehen sich selbst nicht als Arbeiterklasse und neigen sogar dazu, Veranstaltungen abzulehnen, die im Kontext mit dem Status als abhängig Beschäftigte stehen.
Entsprechend schlecht kamen die traditionellen Kommunikationsstrategien der indonesischen Gewerkschaftsorganisationen mit ihrem harten, maskulinen und bevormundenden Ton bei dieser Gruppe an. Slogans wie „Zerstört den Kapitalismus!“, „Erfüllt Arbeitnehmerrechte!“ oder „Zerstört den Neoliberalismus!“, mit denen Demonstrationen auf der Straße Macht entfalten könnten, mussten deshalb für die Organisierung im Kreativbereich ersetzt werden.
Die erste Herausforderung für die Digitalkampagne von SINDIKASI besteht also darin, die Kommunikationsstrategie zu verändern: hin zu kritischen und provokativen Narrativen, in einem pointiert unterhaltsamen, freundlichen Ton und mit einem interaktiven Kommunikationsmodell. Tatsächlich zielten die ersten Mantras der Kampagne auf die Zugehörigkeit aller Arbeitnehmenden zur Arbeiterbewegung – unabhängig von ihrer Tätigkeit. „Angestellte sind auch Arbeiter_innen und es ist okay, Teil der Arbeiterklasse zu sein“, hieß der Slogan. Instagram erwies sich darüber hinaus aber auch als Experimentierfläche für digitale Posterformate mit satirischem Charakter, Memes und digitale Comics. Die Nutzung der Frage-Antwort-Möglichkeit auf dieser Plattform und auf Twitter half, die Botschaften der SINDIKASI-Kampagne zu vermitteln. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Art und Weise der Visualisierung. SINDIKASI versucht bewusst, Plakate beispielsweise mit femininen Farben zu entwerfen, um mit der Männlichkeitskultur indonesischer Gewerkschaften zu brechen – und Frauen stärker anzusprechen.
Die Produktion der Digitalkampagne ist Aufgabe der Kommunikationsabteilung. Einmal im Monat stellt das Team einen Redaktionsplan auf, der die anstehenden Themen, den Ablauf der Content Production und die Veröffentlichung umfasst.
Inhaltlich geht es beispielsweise um indonesisches Arbeitsrecht, psychische Gesundheit, den Tag der Arbeit, eine Umfrage zu den Auswirkungen der Pandemie auf Kreativschaffende, den flexibilisierten Arbeitsmarkt und Rechte von Freelancer_innen sowie das Omnibusgesetz zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Die meisten der von SINDIKASI kreierten Beiträge zielen darauf ab, die Bedeutung und Details von Arbeitnehmerrechten zu erläutern, die im indonesischen Arbeitsgesetz festgeschrieben sind.
Verbesserung der Lage von Freelancer_innen
Die Situation von sogenannten Freelancer_innen, also freien Medien- und Kulturschaffenden, hängt eng mit den Flexibilisierungen des Arbeitsmarktes zusammen. Einen Schutz genießen sie nicht, dafür sind ihre Arbeitsbedingungen noch prekärer als ohnehin in der Branche üblich. SINDIKASI vertritt die Ansicht, dass sie Teil der Arbeitnehmerschaft sind und somit sowohl Anspruch auf menschenwürdige Arbeit als auch auf gesetzlichen Schutz haben – und versucht, Freelancer_innen diese Position auch zu vermitteln. Alle Materialien und Angebote sind auch für sie zugänglich, bis hin zur Mustervorlage für rechtsgültige Verträge. Auch gegenüber der Regierung vertritt SINDIKASI die Interessen dieser Gruppe und drängt auf Verbesserungen, unter anderem im Rahmen der Widerstandskampagne gegen das Omnibusgesetz.
Erfolge und Herausforderungen in der digitalen Welt
Innerhalb von drei Jahren ist es SINDIKASI gelungen, auf Instagram 21.000 Menschen und auf Twitter 17.000 Menschen zu erreichen. Es sind Gewerkschaftsmitglieder, Unterstützer_innen, Schwestergesellschaften sowie Personen der an der Kampagne interessierten Öffentlichkeit. Bislang sind 400 Menschen offiziell Mitglieder der Gewerkschaft geworden. Die Engagement rate, die die Anzahl an Interaktionen misst, die Social Media-Inhalte im Verhältnis zu ihrer Reichweite oder anderen Zielgruppenzahlen erzielen, liegt beim Instagram Account von SINDIKASI bei 2,85 Prozent - also um einiges höher als die 2 Prozent, die Social Media-Manager sich als erstes Ziel setzen.
Der Weg dorthin war für SINDIKASI allerdings häufig steinig. Immer wieder stagnierten die Kampagnen und es brauchte neue und nachhaltige Ideen. Als hilfreich erwies es sich, mehr Mitglieder miteinzubeziehen.
Eine der größten Herausforderungen für SINDIKASI war die Anpassung der Kommunikationsstrategie in einem Fall mutmaßlicher sexueller Gewalt, an dem ein Gewerkschaftsmitglied aktiv beteiligt gewesen sein soll.
SINDIKASI beauftragte nach dem dafür üblichen Verfahren ein unabhängiges Fachuntersuchungsteam mit der Klärung des Falles. Ihm gehörten fünf Frauen aus fünf verschiedenen Organisationen mit dem Schwerpunkt sexuelle Gewalt und Schutz von Frauenrechten an.
Die Nachricht über den Fall ging jedoch so schnell viral, dass sie die Online-Kampagnenaktivitäten monatelang beschäftigte. Nach außen vermittelte sich die Ansicht, die Gewerkschaft schütze eher den mutmaßlichen Täter als das mutmaßliche Opfer. Das führte dazu, dass sich drei Rezeptionsgruppen herausbildeten: Die einen interessierten sich für die Details des Falls, andere waren von der Organisation enttäuscht, eine dritte Gruppe setzte einen shitstorm mit Spams, Drohungen und Beleidigungen in Gang, einige legten dem Beschuldigten nahe, sich umzubringen, und empfahlen SINDIKASI, sich aufzulösen.
Die Organisation entschloss sich, mit größtmöglicher Transparenz zu kommunizieren. Es wurde monatlich über die Arbeitsergebnisse der unabhängigen Untersucher_innen berichtet. Parallel dazu ging man selbst der Sache nach, nahm Kritik und Bedenken der Öffentlichkeit auf. So gelang es, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Organisation wieder zu gewinnen.
Zusammenarbeit bei Politikinterventionen
Um wirksam politisch intervenieren zu können und Diskurse nachhaltig aufrechtzuerhalten, hat es sich als sinnvoll erwiesen, mit ähnlich ausgerichteten Institutionen zusammen zu arbeiten: Je größer das Netzwerk, desto stärker die Unterstützung für die indonesische Arbeitnehmerbewegung, aber auch desto größer die Macht, bei der Gestaltung indonesischer Regierungsentscheidungen zu Wirtschafts- und Arbeitsregulierungen zu intervenieren.
Fast zwei Jahre kämpfte SINDIKASI mit anderen dafür, dass psychische Gesundheit in den Arbeitsschutz eingeschlossen wird. Mit Erfolg, die Regierungsverordnung wurde überarbeitet, der Schutz der psychischen Gesundheit ist nun enthalten.
Zuletzt richteten sich gemeinsame Proteste einer Allianz von Gewerkschaften wie SINDIKASI, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bürger_innen wieder gegen das Omnibusgesetz und seine Auswirkungen auf Arbeitnehmer_innen, Umweltschutz, Agrarschutz, Bildung und Erziehung, Rundfunk und TV und vieles mehr. Sie organisierten in nahezu allen großen Städten Indonesiens Großdemonstrationen.
Daneben arbeitet SINDIKASI fortwährend an Netzwerken zur strategischen Kooperation mit nationalen und internationalen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen. Daran beteiligt waren unter anderem das Jakarta Rechtshilfeinstitut, die Mahardika Frauengewerkschaft, das indonesische Zentrum für Gewerkschaftsrechte, die Internationale Arbeitsorganisation Jakarta und verschiedene Frauen- und Arbeitnehmergruppen sowie Mondiaal FNV.
Raisya Maharani ist Vorsitzende der Kommunikationsabteilung von SINDIKASI und Vorstandsmitglied von SINDIKASI seit 2017. Sie arbeitet als Freelance-Journalistin und Werbetexterin in Jakarta, Indonesien.
Der Artikel erschien in der Broschüre, Transformation weltweit – für Gute Arbeit im digitalen und ökologischen Wandel, im Dezember 2020.