Feministische Entwicklungszusammenarbeit: Bessere Position für Frauen
18.12.2023 I Frauen gehört weltweit nur 15 Prozent des Bodens, dabei machen sie 40 Prozent der Arbeit in der Landwirtschaft. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze will das ändern, die Gleichberechtigung insgesamt stärken. Was fordern Gewerkschaften?
Nach 40 Jahren Erwerbsarbeit haben Frauen im Schnitt fast 400.000 US-Dollar weniger verdient als Männer mit einer vergleichbaren Erwerbsbiografie. Das hat die Nonprofitorganisation National Women’s Law Center errechnet. Bei Indigena und Women of Colour sind es sogar 1 Million US-Dollar. Dieser Gender Gap summiert sich der Weltbank zufolge weltweit auf doppelt so viel wie das globale Bruttoinlandsprodukt. Auch der Zugang zu Bildung ist ungleich verteilt, und jede dritte Frau erleidet mindestens einmal im Leben Gewalt – in manchen Weltregionen sind es sogar sieben von zehn Frauen. Um das zu ändern, hat Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze eine „Feministische Entwicklungspolitik – Für gerechte und starke Gesellschaften weltweit“ vorgestellt. „Wenn Frauen gleichberechtigt sind, gibt es weniger Armut, weniger Hunger und mehr Stabilität in der Welt“, so Schulze.
Eingeflossen sind Empfehlungen von rund 400 Akteur_innen weltweit. „Eine feministische Entwicklungspolitik zielt darauf ab, Personen und Personengruppen Zugang zu ihren Rechten zu verschaffen und sie darin zu unterstützen, diese einzufordern und ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten“, steht darin. Kern ist ein Perspektivwechsel: Bisher ging es eher darum, Mädchen und Frauen in den bestehenden Strukturen zu unterstützen, jetzt sollen die Strukturen selbst verändert werden.
Geschehen soll das auf Grundlage der sogenannten 3-R-Regel, die die ehemalige schwedische Außenministerin Margot Wallström geprägt hat. Die drei R sind: Rechte, Ressourcen, Repräsentanz für Frauen. Das heißt etwa, dass ihr Anspruch auf Bildung eingelöst oder Klagemöglichkeiten gegen Ausbeutung in Lieferketten verankert werden, um ihre Rechte zu stärken.
In der Landwirtschaft zum Beispiel geht es um Ressourcen: Obwohl Frauen mehr als 40 Prozent der Arbeit in diesem Bereich verrichten, gehört ihnen weniger als 15 Prozent des Bodens. Schulzes Ressort, das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, BMZ, will nun mit Partnerregierungen kooperieren, um diskriminierende Gesetze abzubauen, etwa im Erbrecht, mit dem bisher oft Söhne bevorteilt werden.
Und eine bessere Repräsentanz ergibt sich, wenn in Gremien öfter und mehr Frauen vertreten sind. Vorbild ist ein Projekt in Sambia, bei dem es um die Wasserversorgung in der Hauptstadt Lusaka geht. Frauen, die aufgrund ihrer Hausarbeit genau über den Wasserverbrauch im Bilde sind, bringen ihr Wissen als Mitglied in Bezirksentwicklungsausschüsse ein. Sie sind daran beteiligt, die Wasserversorgung für 23.000 Haushalte zu schützen.
Um die drei R zu stärken, will das BMZ bis zum Jahr 2025 den Anteil der Finanzmittel für neue Projekte, die als Hauptziel die Gleichberechtigung haben, auf 8 Prozent erhöhen und damit im Vergleich zu 2021 verdoppeln. Der Anteil von Projekten, die zumindest einen Beitrag zur Gleichberechtigung leisten, soll dann bei 85 Prozent liegen. Insgesamt sollen damit 93 Prozent aller geförderten Projekte mit dem Ziel verbunden sein, Frauen und Mädchen zu stärken. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 waren es 64 Prozent.
Maßstab zur Beurteilung der Projekte ist der OECD-Code für die Gleichstellung der Geschlechter, die sogenannte GG-Kennung. „Vorhaben mit einer sogenannten GG2-Kennung verfolgen die Gleichstellung der Geschlechter als Hauptziel; bei Vorhaben mit einer GG1-Kennung stellt die Gleichstellung der Geschlechter ein Nebenziel dar“, erklärt eine Sprecherin des BMZ. Für alle Projekte mit einer solchen Kennung müsse eine Genderanalyse erfolgen. Dabei werde geprüft, welche Potenziale, aber auch welche Risiken für die Förderung der Geschlechtergleichstellung bestehen – und wie Risiken minimiert werden können.
Die Strategie hat Auswirkungen auf Organisationen wie die Förderbank KfW, die im Auftrag des Ministeriums Projekte finanzieren. In Kürze wird das BMZ ein Menschenrechtskonzept für die deutsche Entwicklungspolitik vorlegen, das Vorgaben für feministische Ansätze enthält. Das Konzept wird der Sprecherin zufolge verbindlich sein für die KfW und andere staatliche Durchführungsorganisationen.
Gewerkschaften begrüßen die Strategie für die feministische Entwicklungszusammenarbeit. „Das war lange überfällig“, sagt Hannes Hauke Kühn, Internationaler Sekretär der IG BCE. Zu lange sei in der Entwicklungszusammenarbeit ein Businessmodell gepflegt worden, bei dem die Rolle von Frauen in Arbeitsprozessen zu wenig beachtet worden sei.
„Aber genau das zu berücksichtigen ist nötig“, sagt er. „Die Gleichberechtigung von Frauen ist der Motor für Veränderungen im Globalen Süden.“ Dabei dürften aber multinationale Unternehmen nicht außen vor gelassen werden, betont er. „Konzerne aus Deutschland müssen ihre Verantwortung wahrnehmen“, fordert er. „Daran werden wir die Unternehmen messen.“ Ein wichtiges Instrument dabei ist aus Sicht der Gewerkschaften das Lieferkettengesetz, das seit Anfang dieses Jahres in Kraft ist.
Die Strategie sei ein sehr großer Fortschritt, sagt auch Sabine Kaldonek von der feministischen entwicklungspolitischen Organisation Femnet. Dass mehr als 90 Prozent der Mittel künftig in Projekte mit dem Ziel der Gleichstellung fließen sollen, sei eine große Chance. Doch gibt es auch Kritik.
So sei in der Strategie zum Beispiel wenig die Rede von den Arbeitsbedingungen in Industriebetrieben etwa in der Textilwirtschaft, den extrem niedrigen Löhnen und dem Gender-Pay-Gap. Zudem spiele das Lieferkettengesetz darin bisher kaum eine Rolle. „Das Lieferkettengesetz muss zum Abbau des Gender-Pay-Gaps beitragen“, fordert Kaldonek. Femnet plädiert dafür, dass die Bundesregierung eine_n Beauftragte_n für Menschenrechte mit der Aufgabe betraut, das Thema Gendergerechtigkeit in globalen Lieferketten zu kontrollieren.
Was aus Sicht der Frauenrechtsorganisation ebenfalls fehlt: Widerspruch zur neoliberalen Agenda von multinationalen Organisationen wie der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds. Sie hat Empfehlungen für Ergänzungen der Strategie vorgelegt.
Eine davon: Frauen nicht nur als Arbeitskräfte zu sehen, sondern auch als diejenigen, die hauptsächlich für die Sorgearbeit zuständig sind. „Das muss mitgedacht werden“, sagt Kaldonek. Das BMZ solle zudem frauengeführte Gewerkschaften und NRO stärker fördern.
Autorin: Anja Krüger ist Journalistin und lebt in Berlin.
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