Die größte Volkswirtschaft Ostafrikas und die Pandemie
Gewerkschaften im öffentlichen Sektor kämpfen für Gesundheitsschutz und faire Bezahlung. Neben der direkten Gefahr, die vom Virus ausgeht, betreffen die Sorgen auch hier Arbeitsplätze, digitale Bildung, Existenzen. Wilfred Ayaga berichtet aus Kenia.
Am 1. April trat die 23-jährige Brenda Cherotich in die Öffentlichkeit. Sie berichtete über ihre Genesung von Covid-19 und bekam die Aufmerksamkeit der Kenianer_innen. Sie war Patientin Null des Landes und in der Bevölkerung gab es noch Zweifel, ob das Coronavirus real ist. Die Fake News, das Virus fürchte die schwarze Haut, verbreitete sich via Social Media und einige meinten sogar, es sei ein Aprilscherz!
Drei Monate sind seit dem ersten Fall vergangen und das Land hat mit einer umfassenden Gesundheitskrise zu kämpfen. Das Gesundheitssystem droht an seine Grenzen zu stoßen.
Die Schulen haben geschlossen, Arbeitnehmende ihre Arbeit verloren und die Armen in den Slums können nur auf Regierungspakete warten.
Begriffe wie Masken, PSA und Beatmungsgeräte sind auf den Straßen zu einem gängigen Vokabular geworden. Regierung, Arbeitergewerkschaften, Kenianer und Kenianerinnen versuchen, sich an die neue Normalität anzupassen.
Die größten Sorgen sind die Kontrolle der Neuinfektionen und der Schutz der verletzlichsten Gesellschaftsgruppen vor den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie. Bis April hatte das Land bereits über 2.000 Fälle registriert. Die Statistiken sind jedoch, wie auch in anderen Ländern der Region, unter Berücksichtigung der bis heute niedrigen Testkapazitäten zu lesen.
Tom Odege, Mitglied des kenianischen Parlaments und Generalsekretär der Kenya Union of Civil Servants drückt es so aus: „Von der Regierung gibt es nichts zu feiern. Die meisten Arbeiter_innen machen eine schwierige Phase durch, weil die Wirtschaft erodiert. Die meisten, die Arbeitsplätze verloren haben, haben niemanden, der sich um sie kümmert. Wir müssen die Situation noch ernster nehmen. Das Leben wird nie wieder das gleiche sein “. Seine Ansicht wird von vielen Gewerkschaftsführer_innen geteilt. Sie erhöhten den Druck auf die Regierung, um ihrer Forderungen durchzusetzen.
Immerhin hat die Regierung Maßnahmen zur Abschwächung der Auswirkungen der Pandemie angekündigt. Dazu gehören Steuervergünstigungen für individuelle Einkommen, die Reduzierung der Mehrwertsteuer für Unternehmen sowie Anreize für lokal ansässige Unternehmen Gesichtsmasken und Schutzkleidung für das Gesundheitspersonal herzustellen. Hochrangige Regierungsbeamte, einschließlich des Präsidenten, kürzten die eigenen Gehälter um bis zu 80 Prozent. Ein Hilfspaket in Höhe von ca. 377 Mio. USD soll arme Kenianer_innen unterstützten, die meist im informellen Sektor tätig und aufgrund der Beschränkungen nun arbeitslos sind.
Alle diese Maßnahmen deuten auf den Wunsch hin, die Krise zu bewältigen, bieten jedoch keine Sicherheit in einem unvorhersehbaren Umfeld.
Unterdessen kämpft das Personal im öffentlichen Sektor, insbesondere im Gesundheitssektor für Gesundheitsschutz und faire Bezahlung.
In einem der größten Krankenhäuser der Hauptstadt Nairobi, im Mbagathi-Krankenhaus drohten Gesundheitsarbeiter_innen, ihr Werkzeug niederzulegen, weil sie keine Schutzausrüstung und keine angemessene Ausbildung im Umgang mit Covid-19- Erkrankten hatten. Im Mai kündigten Krankenpfleger_innen an, notfalls im Streik für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
Führende Gewerkschafter_innen erhoben zudem Korruptionsvorwürfe, da einige Schutzausrüstungen auf dem Weg zu Krankenhäusern verschwunden seien. „Einmal gab es einen Mangel an PSA, weil jemand sie weggeschlossen hatte,“ berichtet Seth Panyako, Generalsekretär der Kenya National Union of Nurses (KNUN), „Wir glauben, dass das Afya House (der Hauptsitz des Gesundheitsministeriums des Landes) eine Höhle der Korruption ist. Erstaunlicherweise wurde niemand verhaftet und angeklagt“. Ärzt_innen und Krankenpfleger_innen fordern weiterhin ausreichende PSA, doch diese sind grundsätzlich knapp.
In einigen Bezirken streikte Gesundheitspersonal, da sie nicht rechtzeitig bezahlt wurden. Die lokalen Regierungen mussten sogar neue Finanzierungsquellen auftun, um das Personal zu bezahlen.
Strittiges Thema ist auch die Risikozulage für Gesundheitspersonal. Ein Streik der Krankenpfleger_innen war aufgerufen worden, um eine Erhöhung dieser zu fordern. Hinzu kommen Unterschiede in der Höhe von Zulagen, die als ungerecht bewertet werden. So bekommen etwa Ärzt_innen eine um 70 Prozent höhere als anderes Gesundheitspersonal.
Zudem wurden Krankenpfleger_innen mit dubiosen Verträgen eingestellt, die internationale Standards unterliefen, so Panyako. Andererseits musste die Gewerkschaft sich mit Fällen befassen, bei denen Mitarbeitende selbst die Gesundheitsrichtlinien ignorierten und ihre Kolleg_innen dadurch gefährden. Etwa pendelte ein Arzt mehrmals zwischen Laikipia und Nairobi. Als die Krankenpfleger_innen das Problem ansprachen, wurde er zunächst von seinen Kolleg_innen in Schutz genommen. Schließlich wurde die Polizei hinzugezogen und er musste sich testen lassen - Ergebnis: Corona-positiv.
Die Kenya Local Government Workers Union (KLGWU) übt Druck auf die Regierung aus, um auch nichtmedizinisches Personal zu schützen, etwa Krankenwagenfahrer_innen und Rezeptionist_innen. Sie kommen als erstes mit möglicherweise Erkrankten in Berührung. Besorgt ist Generalsekretär Roba Duba auch über Elektriker_innen, die in privaten Haushalten Nairobis Wasserzähler ablesen. "Die Durchführung dieser Aufgabe ohne die erforderlichen Schutzmaßnahmen wird nicht nur unsere Mitglieder dem Virus aussetzen, sondern geht auch gegen die Verfügungen der Exekutive zur Reduzierung der Bewegung in Nairobi als Eindämmungsmaßnahme gegen das tödliche Virus", schrieb die Gewerkschaft in einem Protestbrief vom Mai 8, 2020. Am 3. Juni wurden drei Mitarbeitende des größten Elektrizitätsunternehmens des Landes positiv getestet.
Wo möglich haben die meisten Arbeitnehmenden im öffentlichen Sektor die Kommunikation digitalisiert. Ausreichend Kapazitäten etwa im Bildungssektor, gibt es aber nicht. So sind Arbeitnehmende mit Kindern zusätzlich belastet. Um die Teilhabe an Bildung zu sichern, muss in Laptops und Internet investiert werden. Viele Studierende oder Eltern können sich das nicht leisten und müssen zuallererst ihre Existenz sichern. Außerdem sind die Netze bzw. Portale überlastet und funktionieren „notorisch langsam, was das Lernen schwierig macht“, berichtet Gad Wesonga, Student an der Egerton University. Der stellvertretende Sekretär der Kenya University Staff Union (KUSU), Dr. Charles Mukhwana, verweist darauf, dass die Internetabdeckung nicht in ganz Kenia gewährleistet ist. Und auch die Internetkapazität an den Universitäten ist zu schlecht, um ernsthaft Lektionen durchzuführen.
Mit steigenden Fallzahlen wird vielen klar, dass die Pandemie das Leben dauerhaft verändern wird. Die Lehren werden in den kommenden Jahren gezogen. Auf der Hand liegen die Verbesserung des Gesundheitssektors und der Schutz der Mitarbeitenden. Die Studierende Rosemary Nyangori meint, wenn Fortschritte beim virtuellen Lernen weitervorangetrieben werden, dann könnten zukünftig mehr Leute ermutigt werden, wieder zur Schule oder zur Uni zu gehen.
Die Regierung hat ein Konjunkturpaket in Höhe von 54 Mrd. Sh (ca. 509 Mio. USD) angekündigt, das hoffentlich Arbeitsplätze schützen wird.
04.06.2020
Autor: Wilfred Ayaga ist ein kenianischer Journalist und Mitglied der Kenya Union of Journalists (KUJ).
Bild: Krankenpfleger zeigt die Benutzung der Kabine zur Untersuchung möglicher COVID-19 infizierter Personen.
Übersetzung: Nord-Süd-Netz